Das Vier-Augen-Prinzip in der Sprachindustrie. Wie funktioniert‘s?
Jeder seriöse Sprachdienstleister verfügt über ein Qualitätsmanagementsystem, das je nach Projektanforderungen verschiedene Schritte umfassen kann. Diese Qualitätsmanagementsysteme basieren jedoch immer auf den zwei Hauptphasen eines Übersetzungs- / Lokalisierungsprojekts – der Übersetzung und der Revision (auch bekannt als zweisprachiges Lektorat), die von zwei einzelnen Linguisten oder einem Team durchgeführt werden.
Das Vier-Augen-Prinzip (oder die Zwei-Personen-Regel) bezieht sich wie in anderen Branchen auch in der Sprachindustrie auf die Bestätigung einer Handlung durch (mindestens) zwei Personen – nicht weniger als zwei professionelle Linguisten schauen sich alle übersetzten/lokalisierten Materialien vor der Lieferung des Projekts an den Kunden an.
Was ist der Sinn der sprachlichen Revision?
Sämtliche Übersetzungen werden von Menschen – professionellen Linguisten – getätigt, und da sie nur Menschen sind, kann auch den Besten mal ein Fehler unterlaufen. Knappe Fristen und große Mengen fordern ihren Tribut, was zu gelegentlichen Tippfehlern und Mangel an Konzentration führt; oft helfen schlechte Ausgangstexte auch nicht weiter. Wenn man die speziellen technischen, terminologischen und anderen Aspekte eines Projekts (die vollständig mit den Standardregeln der Zielsprache übereinstimmen oder auch nicht) hinzufügt, kommt man sehr schnell zum Schluss, das professionelles Übersetzen keine leichte Arbeit ist.
Sprachliche Revision ist die Qualitätskontrolle einer rohen Übersetzung, die ein zweiter Linguist durchführt. Seine Arbeit kann einigermaßen weniger anstrengend sein, da er oder sie den Text nicht von vorne übersetzen muss – trotzdem bringt die Revision schlechter Übersetzungen oft den meisten Stress in der Sprachindustrie mit sich.
Diese Kontrolle umfasst die Erkennung und Verbesserung von üblichen sprachlichen Fehlern, wie z. B. Tippfehlern, Fehlübersetzungen, Auslassungen und Inkonsistenzen, sowie die Eignung der übersetzten Materialen für den vereinbarten Zweck, alles unter Beachtung spezifischer Anforderungen des Projekts, der Terminologie und Referenzen.
Der Stil ist jedoch nur dann ein Teil der sprachlichen Revision, wenn er vollkommen unpassend ist (z. B. formloser Stil und Umgangssprache bei juristischen oder medizinischen Übersetzungen) und liegt deshalb meistens in der Verantwortung des Übersetzers, da der Stil einen präferentiellen Aspekt darstellt und nicht objektiv bewertet werden kann.
Die Einsetzung eines zweiten Linguisten bedeutet nicht, dass die Übersetzung gleich schlecht ist oder dass man dem Übersetzer nicht vertrauen kann – es handelt sich dabei um eine übliche Praxis in der Industrie, die auf der Annahme beruht, dass zwei Personen mehr sehen können als eine. Dadurch können sie jede erforderliche Handlung unternehmen, bevor es zum Handeln zu spät ist und eine unzulängliche Übersetzung an die Öffentlichkeit geht. Aus diesem Grund muss (üblicherweise ist das auch so) jede Übersetzung zu kommerziellen Zwecken mindestens von einem weiteren Linguisten überprüft werden.
Revision und LQA-Berichte
Jeder Sprachdienstleister, der seine Tätigkeit ernst nimmt, benutzt die ein oder andere Form von Berichten zur sprachlichen Revision oder den sog. Qualitätssicherungsprozess (LQA – Language Quality Assurance), um das Dokumentieren und die Rückverfolgbarkeit aller Phasen für ein geliefertes Dokument sichern zu können.
Diese Berichte zeigen, dass eine Revision oder Qualitätsprüfung (oder beides) durchgeführt wurden, dokumentieren die erkannten und verbesserten Fehler und enthalten normalerweise eine allgemeine Bewertung/Empfehlung, die dem Übersetzer dabei helfen soll, künftig solche Fehler zu vermeiden.
Die Tools
Je nach Art des Projekts und dem Zweck sowie dem Format der übersetzten Materialien, werden unterschiedliche Tools für die sprachliche Revision eingesetzt. Zu den häufigsten gehören Rechtschreibprüfungen (integriert in Texteditoren und CAT-Tools), Nachverfolgen von Änderungen, Sprachqualität und Bearbeiten von Berichten (Berichte, aus denen hervorgeht, wie viel Arbeit an einem Projekt während der Sprachrevisionsphase geleistet wurde).
Noch ein weiteres Paar Augen?
Es ist nicht selten, dass ein dritter Linguist gebeten wird, die überarbeiteten Materialien Korrektur zu lesen und diese zu überprüfen, nachdem sie technisch bearbeitet wurden (z. B. nach dem DTP-Prozess), oder dass diese vor der endgültigen Lieferung zur letzten Prüfung an den Übersetzer und Lektor geschickt werden.
Dieser Prozess mit der Vorabversion kann den Linguisten einen besseren Einblick und mehr Informationen über eventuelle Problemstellen, die man sonst nicht bemerkt hätte, schenken.
Zusammenfassung
Übersetzung und Lokalisierung sind größtenteils automatisierte und computerunterstützte Prozesse; trotzdem werden sie von Menschen ausgeführt und Menschen können Fehler machen. Qualitätssicherungsprozesse wurden entwickelt (und werden kontinuierlich verbessert), um menschliche Fehler zu beseitigen. Durch die Verwendung dieser Prozesse erhält der Kunde die übersetzten / lokalisierten Materialien, die von mindestens zwei professionellen Linguisten geprüft wurden.